29. SONNTAG im Jahreskreis
Evangelium nach Markus (Mk 10, 35–45)
Während Jesus mit seinen Jüngern auf Jerusalem und sein Leiden zugeht, verlieren diese sich in Streitigkeiten darüber, wer von ihnen der Größte ist und wer im Reich Gottes die ersten Plätze einnehmen darf. Eine uralte Geschichte, die sich in allen Zeiten, in allen Gesellschaften und Gruppierungen wiederholt!
Wer ist der Größte, wer der Mächtigere? Wer hat politische, wirtschaftliche, finanzielle Macht und kann anderen seinen Willen aufzwingen? China, Russland, die USA kämpfen um die Weltherrschaft, versuchen Bedeutung und Einfluss zu erlangen, oft mit verheerenden Folgen für die Menschen. Da ist Nordkorea, der Iran, die Türkei, da versinken Länder wie Afghanistan, Syrien, Somalia und Jemen im Chaos. Immer geht es um Macht. Wer ist der Größte, wer ist der Mächtigere?
Das Streben nach Macht ist fast so etwas wie die DNA unserer kapitalistischen Wirtschaft und Gesellschaft. Erfolgreich ist man vor allem dann, wenn man sich gegen andere durchsetzt, die besseren Plätze für sich beansprucht oder einfach nur reich ist.
Aber nicht nur auf internationaler und nationaler Ebene und sogar in der Kirche, sondern auch im privaten Bereich, in der Familie, in der Schule, am Arbeitsplatz. Es wird gemobbt, gelogen, intrigiert. Neid und Eifersucht vergiften Herzen. Das kann bis hin zum Rufmord gehen, zum Stalking. Es wird versucht, dem Anderen das Leben so schwer wie möglich zu machen, damit man selbst gut da steht, selbst mehr Einfluss und Macht hat.
Dabei ist Macht grundsätzlich nichts Schlechtes. Macht hat mit „machen“ zu tun: Um etwas machen und bewirken zu können, muss ich die Macht und die Möglichkeit dazu haben. Aber ich kann diese Macht gebrauchen und missbrauchen. Was will ich machen und bewirken? Andere ausnutzen und unterdrücken? Oder ich kann Macht gebrauchen und einsetzen zugunsten von Menschen und der Umwelt.
Jesus lebte in einer Gesellschaft, die geprägt war von Herrschaft und Macht. Etwa zwei Prozent der Bevölkerung kontrollierten die Hälfte des Reichtums. Und die Römer regierten das Land mit eiserner Faust und drückten die Mehrheit des Volkes durch ihre Steuern auf das Existenzminimum. In diese erdrückende, himmelschreiende Ungerechtigkeit seiner Zeit hinein erzählt Jesus seine große Vision vom „Reich Gottes“. Weil er sich völlig von Gott geliebt weiß, wendet er sich seinen Mitmenschen und seiner Gesellschaft in voller Liebe zu. In dieser Haltung will er die Gesellschaft von Grund auf verändern.
„Bei euch aber soll es nicht so sein... Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein.“ Dienen heißt, sich selbst, sein Leben einzusetzen – füreinander. Wie schwer sich Menschen allerdings mit dieser radikalen Liebe tun, sehen wir im heutigen Evangelium. Die beiden Jünger, Jakobus und Johannes, waren ja mit Jesus schon einige Zeit unterwegs. Sie waren von Jesus und seiner Botschaft offenbar so angetan, dass sie Haus und Hof verlassen haben und sich der Jüngergemeinde Jesu angeschlossen haben. Sie haben wohl schon oft von seiner Vision vom Reich Gottes gehört. Trotzdem zeigen sie, dass sie noch immer nicht verstanden haben, worum es Jesus geht.
Heute bekommen wir von Jesus wieder eine Anregung, wie wir den Umgang miteinander gestalten sollen, hier, in dieser Welt. „Bei euch soll es anders sein.“ Füreinander da sein, einander dienen, für einander eintreten ist gefragt. Der französische Bischof Jacques Gaillot hat einmal gesagt: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts." Im Reich Gottes, dort wo Menschen unter dem Einfluss Gottes in dieser Welt leben, gelten andere Maßstäbe. Jesus ruft uns auf, nach diesen Maßstäben (Gottes) zu leben.